Stiftung Wahrheit in den Medien

SYMPOSIUM der Stiftung Wahrheit in den Medien Universität Luzern, 28. November 2009

Meinungsvielfalt – Meinungsmainstream?

Podiumsdiskussion am 9. Symposium

Die Stiftung Wahrheit in den Medien (SWM) führte am Samstag, 28. November 2009, in Luzern zum 9. Mal ihr Symposium durch. Es war der brisanten Frage "Meinungsvielfalt - Meinungsmainstream?" gewidmet. Das Einführungsreferat hielt Dr. phil. Paul Ehinger, Publizist und Historiker, 1984-88 Bundeshausredaktor und 1988-2003 Chefredaktor Zofinger Tagblatt.

In einer Podiums- und Publikumsdiskussion wurde die Frage vertieft diskutiert. Unter der Leitung von Nationalrat Filippo Leutenegger nahmen daran teil: Dr. phil. Urs Paul Engeler, Bundeshausredaktor Weltwoche, Peter Hartmeier, 2002-2009 Chefredaktor Tages-Anzeiger, seither Verwaltungspräsident der Huber & Co AG Frauenfeld, sowie lic.phil. Josef Zihlmann, 1989-2009 Chefredaktor Willisauer Bote/Wiggertaler Bote, seit 2008 Geschäftsführer Willisauer Bote Medien+Print und der SWS Medien AG Verlag.



V.l.n.r. Josef Zihlmann, Urs Paul Engeler, Filippo Leutenegger (Moderation), Peter Hartmeier

Die Tendenz zum gouvernemantalen und entpolitisierten Journalismus
Filippo Leutenegger greift für die Anfangsfrage thematisch auf eine Hypothese im vorgängigen Referat von Paul Ehinger zurück: Haben wir in den Medien einen etatistischen beziehungsweise konformistischen Mainstream, deren gemeinsamen Nenner die Abgrenzung zur SVP beinhaltet?

Josef Zihlmann relativiert diese Aussage für sein journalistisches Betätigungsfeld: „Bei uns sind alle Journalisten aus der Region rekrutiert und müssen einen Bezug zum Umfeld der Leserschaft haben.“ Die Selektion geschehe nicht parteibezogen. In der Luzerner Landschaft sei die politische Mitte sehr stark. Er stimmt indessen der Hypothese der Entpolitisierung von Ehinger zu: „Wir haben zu wenig politisch interessierte Journalisten.“

Urs Paul Engeler meint, dass es eigentlich einen strukturellen Mainstream gebe, nämlich einen sda-Mainstream. Alle Journalisten orientierten sich nach den gleichen Quellen. Das mache sich im sogenannten Rudel-Journalismus bemerkbar: Alle würden der gleichen Story nachrennen. Die politischen Wertungen glichen sich an. Vor allem in den Bundeshausredaktionen sehe man dieses Muster. Die Büros der grossen Zeitungen sind alle in unmittelbarer Nähe und so gebe es eine Kumpelei und Absprachen, welche Stories relevant seien. „Ich gehe nicht an Mittagessen und Aperos“, erklärte Urs Paul Engeler, „diese Distanz zu anderen Journalisten und Politiker pflege ich. Weil ich versuche, eigenständig zu sein und zu bleiben, weshalb meine Meinung auch abweicht. Ich nehme mir bewusst dieses Maximum an Freiheit heraus.“

Peter Hartmeier vertritt eine entgegengesetzte Meinung: „Ich pflege sehr viel Kontakt mit Politikern und bringe diese Erfahrungen in die Redaktion ein.“ Es habe allerdings eine Öffnung stattgefunden, ein Wandel. Ein Problem sieht auch er darin, dass es zu wenig politisch denkende Nachwuchsjournalisten gebe. „Man findet schnell jemanden, der das Nachtleben kommentiert. Journalisten, welche die politischen Zusammenhänge kennen, findet man jedoch kaum“, hält er fest. Politischer Mainstream gebe es jedoch kaum. Der Tages Anzeiger sei zum Beispiel eine Zeitung in einer rot-grün beherrschten Stadt. Deren Leser hätten mehrheitlich eine urbane Einstellung. Man könne nicht am Publikum vorbeischreiben! Der TA sei aber offen gegenüber anderen Positionen. Und die Thurgauer Zeitung, so Hartmeier, sei eine gemässigt-liberale Zeitung in einem SVP-Kanton.

Urs Paul Engeler nimmt die Frage nach der Tages Anzeiger-Ausrichtung auf und erklärt, dass die Thematisierung klar links gerichtet sei, und das wäre auch kein Problem. Das Problem sei, dass praktisch alle Medien auf diesen Kurs einschwenkten. Besonders negativ wirke sich dies auf die Medienarbeit aus, da mittlerweile jeder Journalist in jedem Medium über jedes Thema schreiben könne. Die Berichterstattung sei beliebig austauschbar geworden. Früher habe es ein Raunen in der Medienlandschaft gegeben, wenn ein Journalist vom TA zur NZZ wechselte oder umgekehrt. Heute im Zeitalter der Entpolitisierung sei das nicht mehr der Fall. Dass die Weltwoche mit ihrem kleinen Blatt am Markt durchkomme, zeige auf das Bedürfnis nach nonkonformer Berichterstattung auf.

Filippo Leutenegger beschreibt die Haltung in den Medien als gemeinsamer Nenner aus einer Haltung von „SVP pfui!“ und der Befürwortung des Sozialstaates, der Delegation von Verantwortung an den Staat und der Ausländerintegration unter Ausschluss der herrschenden Realitäten. Peter Hartmeier erklärt nochmals die Haltung des Tagensanzeigers als einer Volkszeitung. Diese müsse eine Mehrheitszeitung sein und darum die Haltung der Mehrheit der Leserschaft reflektieren.

Weltanschauung oder Mainstream
Früher waren alle Zeitungen weltanschaulich einer Partei oder politischen Bewegung zugehörig. Heute sind die klassischen Parteizeitungen ausgestorben, betont in Anlehnung an das Referat Filippo Leutenegger. Wie kommt das?

Josef Zihlmann erklärt es sich anhand des Werbemarktes. Werbung müsse die Werbezielgruppe erreichen. Die politische Ausrichtung sei da sekundär. Es sei letztlich die Werbewirtschaft, welche die Politik mache, nicht der Verleger. Journalisten gebe es genügend. Die Medienreduktion sei nicht eine Folge von zu wenig Journalisten, sondern wegen des Markts.

Urs Paul Engeler nimmt den Ball auf und bestätigt die Aussage. Werbung werde heute vor allem durch Werbeplaner gesteuert. Einer der grössten Werbeplaner drohte der Weltwoche, dass er nur noch Werbung bei ihr platziere, wenn der politische Kurs angepasst werde. Aber: „Die Weltwoche hat diesem Druck standgehalten und damit seine Glaubwürdigkeit behalten. Auch wenn es ans Eingemachte gehen kann, man muss sich selber treu bleiben.“

Die erste Publikumsfrage kommt von Nationalrat Pius Segmüller Er gibt zu bedenken, dass sich die Medien zu stark auf die „Stars“ fokussiere. Die Personifizierung bei Fragen der Politik oder der Gesellschaft sei extrem stark und die Zeitungen füllten damit ihre Blätter.

Urs Paul Engeler bestätigt diese Tendenzen, gibt aber gleichzeitig zu bedenken, dass diese Zuspitzung auch durch die Parteien vorgegeben werde, selbst durch die SP. Die Medien machen da nur mit.

Bewusste Meinungsbildung oder Meinungsverfälschung
Nationalrat Leutenegger glaubt nicht, dass gemäss einer Hypothese Ehinger die Blogs zur Meinungsvielfalt beitragen könnten.

Peter Hartmann stellt indessen fest, dass er noch nie eine so breite Diskussion im Bereich Kultur, Kritik und Gesellschaft erlebt habe, auch bei den Jungen, wie dies momentan bei der Minarett-Initiative der Fall sei (diese wurde am Tag darauf vom Souverän und den Ständen angenommen). So schlimm stehe es also um die Jungen nicht. Die Medien hätten hingegen tendenziell einheitlich ablehnend berichtet.

Ein Votant aus dem Publikum beklagt vor allem die Nivellierung bei den elektronischen Medien. Was fehle, sei der staatsbürgerliche Unterricht.

Urs Paul Engeler erklärt dazu, dass die Parteien zunehmend konturlos werden. Die Printmedien seien nichts anderes als ein Spiegelbild der Politik und der Gesellschaft. Wenn alle – mit Ausnahme der SVP – eine ähnliche Haltung vertreten, sei auch vom besten Journalisten keine spannende Berichterstattung zu erwarten. Aber den Mainstream gebe es nicht nur in den Printmedien, sondern auch bei den elektronischen. Der heutige Journalismus zeichne sich generell aus durch mangelnden Mut, aber auch durch mangelnde staatsbürgerliche Verantwortung.

Filippo Leutenegger ergänzt, dass noch vor 30 Jahren die bürgerlichen Parteien mit klarem Profil in der politischen Landschaft vertreten waren. Heute drücken sie sich und greifen brandheisse Themen gar nicht auf, wie zum Beispiel die Sozialschmarotzer-Diskussion gezeigt habe.

Die Medien als 4. Gewalt?
Prof. Christian Doelker stimmt der Hypothese von Ehinger zu, die er von der Analyse von Roger Blum abgeleitet hat: Man kann von einem linksliberalen Mainstream in den schweizerischen Medien sprechen. Überspitzt formuliert: De facto leben wir in einem totalitären System, in dem die Medien einen Teil desselben bilden.

Leutenegger fragt sich, ob unter diesen Umständen die Medien noch als eine Gegengewalt zum Staat bzw. sich als 4. Gewalt bezeichnen könnten. Für ihn bildet die Weltwoche eine Ausnahme, was sich bei der Aufdeckung des Skandals im Zürcher Sozialdepartement zeigte. Es ging lange, bis auch der TA dies merkte.

Peter Hartmeier gibt sich als ehemaliger Tagi-Chefredaktor selbstkritisch und räumt ein, dass die Weltwoche bei dieser Diskussion das richtige Gespür hatte: „Vor allem, weil es eine Story war, die den Raum Zürich unmittelbar betraf, ärgerte es uns, dass die Weltwoche das Thema aufgenommen und erfolgreich verarbeitet hat und wir nicht.“

Urs Paul Engeler relativiert. Zumindest habe der Tages Anzeiger als erste Zeitung nach der Weltwoche das Thema aufgenommen. Die NZZ streite den Missstand bis zum heutigen Tag ab.

Filippo Leutenegger stellt die Frage in den Raum, ob sich die Journalisten weigern, brisante Themen medial zu verarbeiten, weil sie befürchten, dass sie mit der entsprechenden Berichterstattung der „falschen“ Seite helfen würden. Engeler hält dazu fest, dass es für das journalistische Credo wichtig sei, eine Diskussion zu erzeugen. Dabei müsse man sich im Klaren sein, dass eine Meinung auch stets einen Angriff auf jemand bedeute.

Kritische Berichterstattung
Filippo Leutenegger sieht die Medien im optimalen Fall als Controllinginstrument und stellt die Frage, wie dies im regionalen Journalismus aussehe. Hat man da überhaupt die nötige Distanz?

Josef Zihlmann räumt ein, dass dies zeitweilig schwierig sein könne: „Wir arbeiten mit den Gemeinden und deren Vertretern zusammen, wir treffen sie in den Vereinen und am Stammtisch und haben dadurch sehr nahen Kontakt. Dennoch müssen wir kritisch bleiben. Das grösste Problem ist jedoch, dass man aus Kostengründen immer mehr junge Leute einstellt. Diese haben den politischen Wissensschatz noch nicht, müssen ihn noch erlernen, was die Tendenz zur Entpolitisierung fördere.“ Diese Tendenz verstärke sich durch die Tendenz zur Parteilosigkeit; niemand wolle mehr in eine Partei eintreten.

Peter Hartmeier unterstützt diese Feststellung und ergänzt, dass nicht so sehr die linken Chefs das Problem seien, sondern der fehlende, politisch versierte Nachwuchs: „Wir haben zu wenig politisch interessierte Journalisten!“


Klimamainstream
Urs Paul Engeler zeigt das Dilemma in der Berichterstattung und der Meinungsbildung anhand der Klimadiskussion auf. Wir hätten den Klimawandel. Da könne man durchaus Vorteile sehen, wie milderes Klima und den Folgen für die Umwelt. Die Kernfrage sei aber: Was sind die Gründe für den Klimawandel? Da gebe es nur Mutmassungen, denn uns fehlten die gesicherten Fakten. Der Kern des Handelns wäre nun, dass man die Probleme kennt. Das tue man aber nicht, zeige aber dessen ungeachtet Lösungen auf.

Filippo Leutenegger erklärt, dass Weltuntergangszenarien halt immer wieder attraktiv und faszinierend seien. Die Leute interessieren sich stark dafür und lesen dann auch die Zeitungen.

Peter Hartmeier stellt fest, dass Temperament und Neugierde vorhanden seien – auch in den Redaktionen, auch wenn eine intellektuelle Faulheit nicht zu übersehen sei. Die neue Generation der Medienschaffenden sei sicher weniger parteigebunden und ideologisiert, dafür sei sie oft offener und neugieriger. Am wichtigsten sei aber: Journalisten sollten nicht nur Informationsdienstleister sein, sondern auch Vermittler politischer Inhalte.

Urs Paul Engeler ist überzeugt, dass politische Meinungen notwendig seien. Als Journalist werde man erst dann wichtig und ernst genommen, wenn man eine Linie habe und diese auch gegen Widerstand vertrete. Im Moment werde das Bild der Medien von Schulternklopfern beherrscht. Eine klare, eigenständige Haltung sei wichtig – vor allem in den Medien.

Hermann Suter schliesst mit einem Zitat aus einem Gedicht von Rudolf Burger in seinem Bändchen „Grossvater ist’ wahr?“, wo auf Seite 17 die Frevler als jene kritisiert werden; „die im Fernsehturm unter falschem Etikett die Entwurzelung des Menschen betreiben.“ Sie versuchten, „das Band der gemeinsamen Werte zu durchschneiden, sie möchten, dass wir heimatlos werden.“ Der SWM-Präsident erkennt in den heutigen Medien diese zerstörerische Tendenz. Pirmin Müller